Mittwoch, 15. Mai 2024

 15.. Mai 2024, Ollieres – Puyloubier 



Es stürmt und regnet und stürmt und regnet und kühlt sich ab. Die Heizung im Haus ist abgeschaltet, zwei Radiatoren stehen auf dem Gang, die holen wir ins Zimmer und kuscheln uns zusätzlich noch in die Schlafsäcke. Morgens gibt’s Kaffee und Frühstück vom Großeinkauf. Um neun ziehen wir los. Die Fleecejacke tut heute Morgen gute Dienste und ich bereue schon, die Mütze daheim wieder ausgepackt zu haben. Wir nehmen den Schleichweg, kommen an einer zerfallenen Abbaye vorbei und sind auf einem breiten Waldweg, den es jetzt erstmal viele km Richtung Pourrieres geht. 

 


Zwei Jäger im Cheep halten vor uns, ein kurzes Woher und Wohin und Bon Courage und wir sind allein. Es ist bedeckt und hat sich merklich abgekühlt. Und man geht einfach, setzt einen Fuß vor den anderen, muss kaum auf Wegweiser achten, weil es nur geradeaus geht.

 



 Irgendwann überqueren wir den Canal de Provence und finden tatsächlich ein winziges Bänkchen im Wald, um zu rasten. Als der  Weg steinig wird kommt mein Mann mir entgegen und nimmt mir kurz, damit aus der Obst- keine Mittagspause wird, den Rucksack ab. Wir scherzen und sind eigentlich gut drauf. Es regnet nicht, das ist schon mal die halbe Miete, und man muss heute auch nicht Schatten suchen, das ist schon mal die andere Hälfte. 

 



Kurz vor dem Städtchen Pourrieres verlassen wir den Wald und es geht wieder zwischen den Weinbergen entlang. Auch hier entdecken wir erfrorene Rebstöcke, die aber schon wieder Grün angesetzt haben. Schon wird’s ein bisschen langweilig, ich suche auf meinem Handy die Musikdateien und wir lassen uns passend zu Frankreich von den Chansons von Edith Piaf im Walzertakt unter dem wolkenverhangenen Himmel durch die Weinberge der Provence tragen.

 


Und genau so hab ich es mir vorgestellt, zu Mittag betreten wir Pourrieres, finden ein kleines geöffnetes Dorfrestaurant, es gibt Plat du Jour und einen Kaffee. Als eine ältere Dame uns bemerkt, spricht sie mich an und, soweit ich sie verstehe, erzählt sie, dass sie vor vielen Jahren auch nach Santiago gepilgert ist und ihre Augen glänzen dabei. Gestärkt wird stramm weiter gewandert. Und siehe da, jetzt kommt die Sonne raus und es geht nur im Shirt weiter. Auf einem kleinen Asphaltsträßchen verlassen wir den Ort und sehen in der Ferne bereits Puylobier, im Hintergrund die Montagne Sainte Victoire, die Berge, die Cezanne zu unzähligen Bildern anregten. 



 


 
Kurz bevor wir den Ort erreichen, zieht ein Gewitter auf. Das ist für mich fast noch schlimmer als freilaufende Hunde. Wir legen einen Schritt zu. Mitten in der Stadt finden wir allerdings auf die Schnelle kein Cafe , in das wir flüchten könnten und als der Platzregen kommt, finde ich schnell Zuflucht in der Marie, wo ich auch gleich die Gelegenheit ergreife, den Pilgerpass abstempeln zu lassen. Mein Man geht mir verloren. Ein paar Männer, die am Dorfbrunnen boulen, nehmen ihn unter ihre Fittiche und schleppen ihn mit in ein so typisches altes Waschhaus zum Unterstellen. Das dauert aber nicht lange, als der Regenguss vorbei ist, ziehen wir wieder gemeinsam auf der Avenue Cezanne weiter, die genau nach Aix-en-Provence geht. Hier an dieser Straße befindet sich unsere Unterkunft für heute. Wieder sind wir ganz allein. In der Nähe gibt’s keinen Supermarkt und manchmal denke ich, statt einer Vinothek, einem Chateau oder Weinverkauf wäre ein Getränkehandel vielleicht angebrachter. Zum Glück hatten wir ja gestern den Großeinkauf und die nun über fast zwei Tagesetappen neben unseren schweren Rucksäcken in Einkaufsbeuteln transportierten Lebensmittel finden heute Abend reißenden Absatz. Mein Göttergatte zaubert, während ich mal wieder große Handwäsche mache und blog schreibe, das Abendessen in Form einer Salami-Käse-Platte, mit Baguette und Butter, selbst die Oliven und Tomaten haben die Wanderung überstanden. Auch das halbe  Kilo Äpfel, die Bananen und die Erdnussflips-Tüte. In der Küche finden wir Teebeutel und im Kühlschrank Eiswürfel. Mann meint gar nicht, wie lecker Teebeuteltee mit Eiswürfeln schmeckt. Draußen regnet es und ab und zu hört man noch Donnergrollen. Morgens soll es nach Aix-en-Provence gehen und hier gibts einen Ruhetag und eine Waschmaschine. Hurra!

 
 
Erkenntnis des Tages:  Es muss nicht immer was passieren!
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 14. Mai 2024, Bras – Ollieres 

Die Nacht war sehr erholsam und eindeutig zu kurz. Ich werde erst munter als mein Mann schon den Rucksack packt. 


 Im BnB sind fast alle Gäste Deutsche und man verplaudert sich abends. Die Gläser  Wein, die uns beim Berichten zu unserem Weg angeboten wurden, mussten wir leider ablehnen, dann wäre heute nichts gegangen und  gehen müssen wir ja wieder. Dennoch verplaudern wir uns beim Frühstück und brechen erst gegen 10.00 Uhr auf. Heute geht’s über Saint Maximin bis in ein Weingut hinter Ollieres und man kommt Aix-en-Provence immer näher. Saint Maximin liegt etwa 13 km entfernt. Heute Morgen ist es bedeckt, in der Nacht hat es geregnet. Der Weg führt heute über eine Asphaltstraße, weil man ja die Wanderwege durchs Hollywood-Valley nicht benutzen darf. Das ärgert natürlich auch den hiesigen Tourismusverein, so erfahren wir von Claude.

Bereits gestern kamen wir  an Feldern  erfrorener Weinstöcke vorbei und erfuhren von Martina, dass  vor Kurzem  einige Tage Minusgrade waren und man hofft, die Reben würden nochmals  neue Triebe ansetzen. Auch deshalb nennt man das Gebiet um Bras herum die sibirische Provence. 


 


Bereits Madame Phillippon erzählte uns, dass im Winter hier manchmal 20 Grad Temperaturunterschiede am Tag herrschen. Wegen des regnerischen Wetters geht’s heute zügig voran. An der Basilika in Saint Maximin rasten wir und sind ein bisschen enttäuscht von dieser Stadt, rechnet man doch damit, dass in Anbetracht dieser großen Kirche etwas mehr Tourismus herrscht und die Stadt ein bisschen hübscher sei. Heute Abend müssen wir uns selbst versorgen und mein Mann will im Hyper U am Stadtausgang Proviant einkaufen, deponiert mich samt der Rucksäcke im Burger King, wobei er mir einen Kaffee spendiert. Ich gebe  noch den Auftrag, mir ein paar Tempos und zwei Bananen zu kaufen und er kommt nach einer halben Stunde mit einem ganzen Wochenendeinkauf zurück. Da wir für morgen noch keine Unterkunft haben, sitzen und googeln wir noch eine ganze Weile, und zwar solange bis es in Strömen regnet. Bis Ollieres sind noch 6 km, die wir also in Regenbekleidung vollgepackt mit zwei großen Einkaufsbeuteln unter die Füße nehmen. Der Berufsverkehr hat eingesetzt, als wir am Lyceum vorbei kommen und viele Schulbusse wahrnehmen, fragen wir uns nach dem in Richtung Ollieres durch und der Busfahrer hält kurz vor der Unterkunft. 

 

Mittlerweile ist es wirklich kalt und stürmisch geworden, deshalb gibt’s heute auch kaum Fotos. Das Weingut Les Terress de Saint-Hillaire ist eigentlich kein Hotel und kein BnB, man hat sich neben dem Weinbau auf Events und Hochzeiten spezialisiert und für die Gäste, die nachts nicht mehr nach Hause finden, gibst eine Auberge mit 4 Zimmern und Gemeinschaftsdusche. Solch ein Zimmerchen haben wir für heute reserviert. In der Vinothek, nimmt uns Elodie in Empfang, eine nette und sympathische junge Frau, die uns auch gleich den Schleichweg für morgen in Richtung Puylobier erklärt und die Pilgerpässe abstempelt. 

 Sie entdeckt den Stempel von Martinas BnB, und ja, das hätten wir fast vergessen, liebe Grüße vom BnB. Das Weingut heute ist nämlich der Haus-und Hoflieferant des BnB von gestern und man kennt sich gut. Elodie berichtet, dass wir die einzigen Gäste heute sind, aber schon wöchentlich ein Pilger hier nächtigt. Eigentlich kostet ein Zimmer in der Auberge 40 Euro, aber Pilger zahlen nur 30 Euro. Jetzt ist es mal gut, doch einen Pilgerpass vorweisen zu können. Die Auberge liegt noch 400 m von der Vinothek entfernt, ist ein Haus mit 4 Doppelzimmern, drei Duschen und zwei Toiletten übern Gang und einer kleinen Küche, ausgerüstet mit Kühlschrank, Mikrowelle, Kaffeemaschine und Wasserkocher und Geschirr, und diese Herberge ist heute nur für uns. Wie schade nur, das Wetter spielt nicht mit, wir müssen halt zu Abend in der Küche essen statt auf der Terrasse mit Blick über die Weinberge. Und draußen stürmt und regnet es, dass sich die Bäume vorm Haus fast zu Boden biegen. Eben sibirische Provence. Mein Mann zaubert aus dem Inhalt der großen Einkaufstaschen ein leckeres Abendessen und anschließend wird aus dem halben Stündchen, das ich mich auf Ohr legen will, drei Stunden. Draußen ist es schon dunkel, man hört nur den Regen und den Wind.

 




 
 
 
 
Erkenntnis des Tages:  Auch im Süden wird’s mal kalt !
 
 
 
 
 
 
 
 
 



Montag, 13. Mai 2024

 
13. Mai 2024,  Cotignac – Bras 


Die Nacht bei Madame Phillippon war sehr ruhig und erholsam, außer dass meinem Mann nachts oft alle Knochen schmerzen. Morgens geht es dann immer wieder. Zum Frühstück, dass wir gemeinsam mit der Hausherrin einnehmen, gibt’s das übliche Süße und guten Kaffee. Unser Bus, heute ist Wochentag, fährt halb neun nach Correns, kurz vor Le Val.  Heute muss es FreeStyle gehen, denn bis Bras laufen wir heute nicht nach Ausschilderung. Wir unterhalten uns noch sehr angeregt mit Frau P. und ihr, so scheint es, tut die Unterhaltung auch sehr gut, denn ihre beiden Kinder und 13 Enkelkinder leben in Paris und den Pyrenäen und die sieht sie nicht so oft. Wieder kam  gestern Abend eine Email, diesmal von unserer heutigen Unterkunft in Bras, die Hausherrin, wieder eine Deutsche, ist von 15.30 bis 17.30 außer Haus, wenn wir es einrichten könnten, sollten wir vorher oder nachher kommen. Und wenn zwischendurch, können wir Garten und Pool benutzen. Ich teile ihr mit, dass uns eine Bank und vielleicht etwas zu trinken schon genügen würden und verfluche innerlich den ganzen Bürokram beim Pilgern.
In der Nacht hat es geregnet und sich etwas abgekühlt. Ab Correns sind wir wieder ganz allein auf einem Sträßchen, das stetig bergauf geht, unterwegs und laufen Richtung Le Val, hier müssen wir wieder auf die Ausschilderungen stoßen. 


 

Es geht an kleinen Olivenhainen vorbei und wird schnell wieder warm und wärmer. Und so langsam macht sich Erschöpfung breit. Beide freuen wir uns auf den Ruhetag in Aix-en-Provence. Als wir endlich die Hauptstraße erreichen und ab hier eine selbstgebastelte Route laufen wollen, die im Prinzip nur geradeaus auf unsere Unterkunft stoßen würde, lockt auf der anderen Straßenseite  der Eingang des Chateau Miraval zur Rast. Wir haben mittlerweile gelernt bei diesen Chateaus, die man von der Straße eigentlich nie zu Gesicht bekommt, nach Mauern oder großen Steinen Ausschau zu halten, um sich mal hinzusetzen. Mein Mann schlüpft also zwischen zwei Steinen hindurch und ich wundere mich, weshalb hinter dem Tor eine Art Wachhäuschen steht und zwei nach Security ausschauende Männer gerade das Müllauto hinaus lassen, folge ganz unbedarft meinem Mann, lass meine Rucksack fallen und krame meine Wasserflasche heraus. Plötzlich kommt einer der Männer zu uns und will uns von den Steinen scheuchen. Wir sollten gegenüber , dort, wo wir gerade aus dem Wald kamen, rasten. Das hier sei Privateigentum von Brad Pitt. Dann kommt auch noch der zweite Mann hinzu, der ist etwas netter, als ich ihm erkläre, dass wir Pilger seien und nur eine Pause bräuchten , um zu trinken. Er gestattet uns schließlich, fünf Minute auf dem letzten der drei Steine zu rasten. 

 


Wir quälen googlemaps, da unsere selbstgebastelte Strecke genau über Miraval verlaufen würde. Nach exakt fünf Minuten kommt der zweite Security wieder zu uns, ich packe Handy und Wasserflasche schon in den Rucksack, da entschuldigt sich der Mann für seinen Kollegen, der käme aus Brasilien und wüsste nicht was Pilgern ist, er sei, so wortwörtlich ein „stupid Idiot“ und wir sollen so lange Pause machen wie wir brauchen, nur eben übers Gelände dürften wir nicht abkürzen. 

Nach der Neuplanung laufen wir noch ca. 4 km bis Le Val, um von hier nach Bras zu gehen. In einer Bar pausieren wir und ich traue meinen Augen kaum, kommt da nicht der Brasilianer übern Platz geschlenkert, mit Macho-Sonnenbrille und Macho-Gehabe, tut so, als ob er uns nicht kenne, schlürft seinen Kaffee und schlenkert ebenso machomäßig wieder davon.

 

Bras ist ein winziges Dörfchen und man gewinnt den Eindruck, dass diese Dörfer irgendwie nicht verlassen sind , aber vergessen wurden, zur Mittagszeit ganz leer, still und eben vergessen. An der Kirche gab es bisher immer ein Cafe le Central und gegenüber eine Bar des Sportiv und ab und zu ein Immobilienbüro. Die Brunnen sind , wie bereits im vergangenen Jahr, nicht angestellt wurden. 


 Auch dieses Dörfchen verlassen wir auf einem kleinen Asphaltsträßchen, von dem recht bald ein Weg Chemin les Temples abzweigt , mehrere Schilder preisen unser heutiges BnB an, das Chambre de hotes un Champagne en Provence von Martina Fussler. Ein aus dem 11. Jahrhundert stammendes und 180 ha umfassendes Templeranwesen, umgebaut zu Ferienhäuser und -wohnungen, mit Pool, Garten, versteckten Nischen, Terrasse, Templerkappelle, Liegewiese, Kinderspielplatz, mit kleinem Restaurant, einem alten Innenhof, mit Eseln, Ponys und Gänsen. 

 

Martina kocht für uns. Es gibt Salat und Couscous mit Rotbarbe, Käseplatte, Wein , Brot, Kaffee und Quarkspeise. Gäste kommen, checken ein, holen sich bei ihre eine Flasche Wein und sprechen uns an, ob das nicht herrlich hier sei, dem wir unbedingt zustimmen. Auf die Frage, wie lange wir hier blieben, müssen wir leider antworte, dass es nur für eine Nacht sei, weil wir pilgern und morgen schon wieder weiterziehen. Das scheint für einige Gäste so interessant zu sein, dass wir auf eine Flasche Wein eingeladen werden, diesmal aber wirklich dankend ablehnen. Wieder andere setzen sich zu uns und wir müssen berichten. Es wird eine unterhaltsame Runde, Martina und ihr Mann Claude, ein paar Gäste und wir.

 




Claude ist hier  im Tourismusverein und bedauert auch sehr, dass einige Wege durch dieses Hollywoodvalley, wie die Einheimischen es nennen, so versperrt sind und Pilger oder Wanderer regelrecht dazu nötigen, auf der Straße zu laufen. Neben Brad und Angelina, die übrigens in Corrrens, das ist das verschlafene Dörfchen, in dem wir heute Morgen unser Tagevideo drehten, getraut wurden, haben auch noch George Cloony und George Lucas und ein paar Promis der Parfümindustrie ihre Anwesen hier. Das bringt natürlich Einnahmen für die Region, aber auch Nachteile, weil man eben diese Anwesen nicht durchlaufen kann und wenn ein Wanderer sich doch mal verirrt, wird er im Cheep wieder rausgekarrt. Wir könnten noch lange fachsimpeln, dennoch bitte ich Claude, seinem Verein mal ein Lob für die tolle Beschilderung und Ausmuschelung des Weges auszusprechen.
So, und jetzt ist es fast Mitternacht. 



 
Erkenntnis des Tages: Hollywoodvalley und sibirische Provence, das müssen wir uns merken.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 12. Mai 2024,  Abbaye du Thoronet – Cotignac 


Als wir gestern Abend so schön einsam und zufrieden auf der Terrasse saßen und Tarte und Schokoladenkuchen genossen kam eine Mail des Foyer in Cotignac, das ist eine Art kirchliches Familienferienlage, bestehend aus mehreren Bungalows, wo Familien oder Pilgergruppen übernachten und eine Auszeit nehmen könne. Hier hatte ich schon vor einigen Monaten ein Zimmer mit Halbpension reserviert und angezahlt und jetzt sagen sie ab, da sie eine größere Pilgergruppe übers Wochenenden aufnehmen. Man hat uns allerdings bereits ein Pilgerzimmer in der Stadt bei einer deutschen Frau organisiert und teil uns die Telefonnummer mit. Ich rufe also bei Madame Christine Phillippon an und gebe ihr die ungefähre Ankunftszeit durch und sie beschreibt mir ihr Haus. Allerdings bietet sie keine Halbpension an und nimmt wirklich nur Pilger auf, wir könnten aber die Rucksäcke abstellen und in Cotignac gäbe es viele Restaurants. Woraufhin ich ihr sage, dass wir eigentlich nach der Ankunft nur duschen wollen und dann meist müde ins Bett fallen, wenn man fast 20 km gelaufen ist. Woraufhin sie wiederum erstaunt ist, dass wir zu Fuß kommen. Lange überlege ich, pilgern, zu Fuß, das passt doch. Bis mir die, wir nannten sie damals Edelpilger, von der Via Francigena einfallen, die per Bus die Pilgerorte abklappern oder Buspilger, die geführte Pilgerfahrten machen. Die werden uns wahrscheinlich auch den Platz im Foyer streitig gemacht haben. Sei es drum, dann geht’s halt zu Madame P. mit einem süddeutschen Dialekt und wir sind auch froh, uns auf deutsch unterhalten zu können.
Das Frühstück ist self made, Butter, Joghurt, Käse, Obst sind im Kühlschrank und in der Brottrommel liegt frisches Baguette, Kaffee brüht mein Mann in großen Kaffeeschalen auf und wir gehen den Muttertag recht langsam an. Sind wir gestern über den Souvenirshop des Klosters in die Anlage gekommen, müssen wir heute über ein stählernes Tor hinaus, den Code hierfür bekamen wir von Annuncia. Der Koloss öffnet sich automatisch und fährt hinter uns wieder zu. Die Schwestern bekommen wir am Morgen nicht mehr zu sehen. Da wir nun schon an dieser berühmten Abtei sind, wollen wir sie auch besichtigen, werden aber in der Billeterie von einer energischen Dame zurück gewiesen, mit Rucksack dürfen wir nicht hinein, sie öffnet uns zwei gläserne Schließfächer, die aber viel zu klein für den Rucksack sind und den Ratschlag, wir sollten doch die Rucksäcke auspacken und den Inhalt auf mehrere gläserne Schließfächer verteilen, lehnt mein Mann strikt ab. Wir haben schon so alle Not, morgens immer alles zu verstauen und sind froh, wenn bei letzten Zimmercheck uns nur noch ein vergessenes Ladegerät aus der Steckdose anlächelt. Etwas frustriert ziehen wir dann schon ab, soll doch die wieder aufgebaute Zisterzienserabtei sehr schön sein. Da wir im Kloster leider keinen Empfang hatten, nutzen wir halt jetzt die schönen Sitzgelegenheiten am Klosterkiosk und laden unseren blog hoch, bevor es dann, schon wieder ziemlich spät, Richtung Carces geht. Dieser Ort liegt am Pilgerweg, bot aber trotz intensiver Suche keine bezahlbare oder überhaupt eine Unterkunft, auch Le Val, der darauffolgende Ort, nicht. So dass wir eben auf das Foyer Notre Dame in Cotignac, 10 km nördlich von Carces, ausweichen mussten und heute eben bei der bayrischen Madame schlafen werden. Wieder laufen wir ein kleines Asphaltsträßchen entlang, wieder wird es sehr warm, wieder rechts und links Weinberge, aber nicht so wie bei uns, die hier sind viel kleiner und fast alle mit Elektrozaun umgeben, wieder keine Bar weit und breit. Wir sind ganz allein auf dem Sträßchen und es ist schon ein bisschen meditativ, einfach zu laufen und nur deine Schritte zu hören. 

Manchmal weist ein großes Werbeplakat oder Schild am Straßenrand zu einem Chateau oder einem Lokal oder einem Supermarkt und erst jetzt wird einem bewusst, dass die Zeitangaben darauf, für Autofahrer gemacht sind. Da klingen 5 oder 10 oder 15 Minuten oder 800 m nicht weit, sind aber für einen zu Fuß Laufenden eben 800 m hin und 800 m zurück, das überlegt man sich dann schon.
Irgendwann am Eingang von Carces taucht ein Campingplatz auf, hier wollen wir uns mal hinsetzen und Wasser auffüllen. Der Platz ist aber nur mit Code zugänglich und als ein Mann mit einem Rasentrimmer heraus kommt, bitte ich ihn, uns hinein zu lassen, wir wollen ja nur ein paar Minuten im Schatten sitzen. Der lässt aber nicht mit sich reden, zeigt stoisch auf die Telefonnummer am Tor, die wir anrufen sollen. Ich werde so wütend, dass ich Rucksack und Stöcke ihm regelrecht vor die Füße werfe, das bringt den Typen aber nicht aus der Ruhe. Ein paar Jugendliche, die das beobachten, weisen uns darauf hin, dass in 500m  eine Bar käme und wir schleppen uns in die Stadt hinein und über einen trödeligen Trödelmarkt, machen im Cafe unseren Schlachtplan, denn bis Cotignac zu laufen, ist nicht mehr drin und war auch nicht so geplant. Es gibt eine Busverbindung von Carces nach Cotignag, nur nicht am Sonntag, das ist heute. Taxi.  
Im Städtchen gibt es wirklich viele Restaurants, fast alle an einer Straße, die heutige Unterkunft ist schnell gefunden und Madame nimmt uns freundlich in Empfang, wir kriegen unser Zimmer und Limonade. 


 

Von ihr erfahren wir, dass sie eigentlich viele Jahre mit ihrem verstorbenen Mann das Foyer betrieben hat und man daher bei Platzmangel immer auf ihre Dienste zurück greift. Wir unterhalten uns nett und heute will mein Mann unbedingt mal Fleisch essen. Wir schlendern also nach dem Duschen ins Städtchen und er lädt mich zum Muttertag zum Essen ein, der übrigens hier in Frankreich erst in zwei Wochen gefeiert wird. Gegen 10 fallen wir in die ganz, ganzen weichen Betten in der Villa le Rose.
 
 
 



 
 
Erkenntnis des Tages:  Mann braucht ab und zu mal Fleisch!
 

Sonntag, 12. Mai 2024


11. Mai 2024, Lorgues – Abbaye du Thoronet 


Heute Morgen geht’s schnell aus den Federn, wir werden in der Stadt frühstücken. Die in der Wohnung verstreuten Sachen finden wieder in die Rucksäcke und mittlerweile entwickelt man ein System beim Rucksack packen. Mein Mann hat wirklich Recht, Lorgues ist eine hübsche Stadt, mit vielen Restaurants, Cafes, einer großen Kirche und wie es scheint ziemlich relaxten Menschen. Alles erinnert ein wenig an Italien, wo die Einheimischen auch schon morgens in den Straßencafes sitzen und ihre ersten Einkäufe erledigen. Ich brauche noch einen Pilgerstempel und wir machen uns auf den Weg zur Kirche, ferme, geschlossen, auch die Marie hat heute zum Samstag nicht geöffnet. 

 Da kommt mir die Idee, unsere Pässe in dem Cafe, in dem wir unseren Cappuccino trinken, abstempeln zu lassen. Der Wirt ist ein bisschen grantig, versteht aber, was ich will und zack abgestempelt. Nun mag man sich vielleicht fragen, weshalb wir soviel Wert darauf legen, es ist halt ein Nachweis zu den Orten, die wir aller durchwandert sind und wo wir geschlafen haben und seit Rom haben sich da eben schon viele Unterkünfte angesammelt.
Nach dem Kaffee verlassen wir Lorgues und sind schnell  wieder auf solch einem kleinen Asphaltsträßchen. Der mittäglichen Hitze wollen wir heute etwas entgehen, deshalb wird auch nicht lange herumgetrödelt. 



Eigentlich ähnelt der Weg dem gestrigen, außer dass man heute nicht mehr an soviel Weinbergen entlang wandert. Ein Mann vor seinem Haus verwickelt uns in einen kleinen Plausch, erklärt, dass es bis zur Abbaye 11 km seien und letzte Woche ein belgischer Pilger hier entlang gekommen sei. Mit den 11 km wird er sich täuschen. Es werden doppelt soviel. Man darf halt diese Aussagen der Einheimischen zur Entfernung nicht so ernst nehmen, denn oftmals legen sie die Strecken mit dem Auto zurück und nicht zu Fuß und der Wanderweg ist fast immer länger als die Straße. Als wir unsere erste Pause machen, setzen wir uns vor eine dieser großen Anlagen mit hohem Zaun und stählernem Tor, weil hier ein paar Steine liegen, auf die man sich setzen kann, denn an Sitzgelegenheiten mangelt es weit und breit. Plötzlich kommt eine junger Frau aus entgegengesetzter Richtung zu Fuß, spricht uns an und als ich nur das Wort Pelerin ausspreche, muss sie bereits erkannt haben, dass wir Deutsche sind. Isabell ist aus Deutschland und hat hier ein Ferienhaus. Wie unterhalten uns angeregt, sie erzählt, dass wohl öfters Pilger hier entlang kämen und sie schon überlegt hat, hier eine kleine Würstchenbude aufzumachen, worauf ich auf die Marktlücke Wasser- und Stempelstelle hinweise. Auch erzählt sie, das letztens ein Pilger, der echt nicht mehr konnte, beim Nachbarn geklingelt hätte, woraufhin dieser wohl sein Gästezimmer zur Verfügung stellte und für den Armen gekocht hat. Ich erzähle wiederum von der manchmal verzweifelten Zimmersuche hier in der Nähe, weil erstens zu teuer und zweitens man oftmals für nur eine Nacht gar keine Chance hat und abgewiesen wird. Die Siedlungen hier nennt man Quartier und Isabell beschließt, in der nächsten Woche bei der Quartierversammlung die Problematik mal anzusprechen und die Ferienhausvermieter zu sensibilisieren, einfach auch Pilgerzimmer anzubieten. Dann verbschiedet sie sich und geht genau in das Haus, vor dem wir sitzen.
Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich sicherheitshalber meine Flasche gleich wieder auffüllen lassen und während ich noch überlege, doch zu klingeln und mein Mann laut vom Lottogewinn träumt, um sich auch solch ein Haus in der Provence kaufen zu können, in dem uns die Kinder immer besuchen können, kommt eine Frau die Einfahrt herunter, meint, dass für einen Kaffee allemal noch Zeit ist, der Frühstückstisch sei noch gedeckt und wir könnte auch den Pool benutzen. Bis auf die Poolbenutzung nehmen wir Brunhildes und Ulis Einladung, das sind Isabells Eltern aus Hamburg, die im Urlaub hier sind, dankend an.  


Also folgen wir auf die Terrasse, kriegen Kaffee, Wasser, dürfen uns am Frühstückstisch bedienen und unsere Wasservorräte auffüllen. Wir bleiben lange, zu lange, schweben auf einer Wellenlänge, reden übers Pilgern, über Nepal, über Gott und die Welt, über eine fehlende Stempelstelle und zeigen auf ihren Wunsch hin unsere Pilgerpässe, sie erkennen am letzten Stempel von heute Morgen, dass wir genau in ihrer Lieblingsbrasserie waren, dann tauschen wir Handynummern aus und machen gegenseitig Fotos. Von wegen heute der Mittaghitze entkommen, weit nach 12 reißen wir uns endlich los. Diese Begegnung war einfach schön und wir zehren den ganzen langen Weg bis zur Abbaye davon. Asphalt und Hitze haben uns wieder und keine Einkehrmöglichkeit. Man kommt einfach nicht mehr durch belebte Orte. In einem Weiler flüchten wir in ein Bushäuschen und ich klingle wegen Wasser. Sonnencreme und Wasser sind heute wichtig.

 


Die Abbaye du Thoronet ist ein ehemaliges Zisterzienserkloster, heute ein bekanntes Ausflugsziel, und liegt versteckt mitten im Wald. Das Kloster der Schwestern von Bethlehem liegt noch etwas versteckter. Am Eingang nimmt uns die freundliche polnische Schwester Annuncia in Empfang und wir kauderwelschen, wie mein Mann später feststellt, in fünf Sprachen, ein paar Brocken polnisch und französisch, ab und zu mal englisch, das sie aber nicht spricht, ein paar Brocken deutsch und einigen uns schließlich auf russisch, das wir alle drei noch in der Schule gelernt haben. 

 


Dieses Kloster liegt ziemlich versteckt, ist aber eine Oase. 

 Wir kriegen in einer Art Gästehaus unser kleines einfaches Zimmer mit Bad und Balkon. Annuncia zeigt uns die Küche, die Pilger essen hier anders als in Italien, nicht mit den Schwestern gemeinsam, aber der palästinensische Koch hat für uns Essen vorbereitet, wir machen uns in der Mikrowelle Suppe und Tarte warm und kochen uns Kaffee, dazu hat er Schokoladenkuchen gebacken. 

 








Andere Gäste sind nicht da. Es gibt endlich große Handwäsche und alles trocknet wunderbar auf der Terrasse vor unserem Zimmer. Das ganze erinnert mich ein bißchen an Santa Croce in Assisi, gastfreundlich, schlicht und einfach und sauber.
Und sage und schreibe, alles auf Spendenbasis. Es herrscht eine wunderbare Ruhe hier draußen und lässt Staub und Straße und Hitze und Schweiß und Stress und Frust schnell vergessen. 




 
Erkenntnis des Tages: Manchmal braucht man Pilgerengel !